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«Die Morgenlandfahrt», Hermann Hesse
- In Erd’ und Luft, in Wasser und in Feuer
- Sind ihm die Geister Untertan;
- Sein Anblick schreckt und zähmt die wildsten Ungeheuer,
- Und selbst der Antichrist muß zitternd sich ihm nah’n…
- und so weiter.
Es wurde mir auch zu meiner Freude gleich bei der Aufnahme eine der Erleuchtungen zuteil, wie sie uns Novizen in Aussicht gestellt waren. Kaum nämlich hatte ich, den Weisungen der Oberen folgend, mich einer der Zehnergruppen angeschlossen, welche überall im Lande unterwegs waren, um zum Bundeszuge zu stoßen, so wurde eins der Geheimnisse unsres Zuges mir alsbald durchdringend klar. Ich erkannte: wohl hatte ich mich einer Pilgerfahrt nach dem Morgenlande angeschlossen, einer bestimmten und einmaligen Pilgerfahrt dem Anscheine nach — aber in Wirklichkeit, im höheren und eigentlichen Sinne, war dieser Zug zum Morgenlande nicht bloß der meine und nicht bloß dieser gegenwärtige, sondern es strömte dieser Zug der Gläubigen und sich Hingebenden nach dem Osten, nach der Heimat des Lichts, unaufhörlich und ewig, er war immerdar durch alle Jahrhunderte unterwegs, dem Licht und dem Wunder entgegen, und jeder von uns Brüdern, jede unsrer Gruppen, ja unser ganzes Heer und seine große Heerfahrt war nur eine Welle im ewigen Strom der Seelen, im ewigen Heimwärtsstreben der Geister nach Morgen, nach der Heimat.
Die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Strahl, und zugleich erwachte in meinem Herzen ein Wort, das ich während meines Novizenjahres gelernt und das mir immer wunderbar Wohlgefallen hatte, ohne daß ich es doch eigentlich verstanden hätte, das Wort des Dichters Novalis: „Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.“
Inzwischen hatte unsre Gruppe die Wanderung angetreten, bald trafen wir mit anderen Gruppen zusammen, und es erfüllte und beglückte uns mehr und mehr das Gefühl der Einigkeit und des gemeinsamen Zieles. Den Vorschriften getreu, lebten wir als Pilger und machten von keiner jener Einrichtungen Gebrauch, welche einer von Geld, Zahl und Zeit betörten Welt entstammen und das Leben seines Inhaltes entle eren; vor allem gehörten dazu Maschinen, wie Eisenbahnen, Uhren und dergleichen. Ein andrer unsrer einmütig eingehaltenen Grundsätze gebot uns, alle Stätten und Erinnerungen aufzusuchen und zu verehren, welche mit der uralten Geschichte unsres Bundes und seines Glaubens zusammenhingen. Alle frommen Orte und Denkmäler, Kirchen, ehrwürdige Grabstätten, welche irgend am Wege lagen, wurden besucht und gefeiert, die Kapellen und Altäre mit Blumen geschmückt, die Ruinen mit Liedern oder stiller Betrachtung geehrt, der Toten mit Musik und Gebeten gedacht. Nicht selten wurden wir dabei von den Ungläubigen verspottet und gestört, aber es geschah auch häufig genug, daß Prie — ster uns segneten und zu Gaste luden, daß Kinder sich uns begeistert anschlössen, unsre Lieder lernten, uns nur mit Tränen weiterziehen sahen, daß ein alter Mann uns vergessene Denkmale der Vergangenheit zeigte oder eine Sage seiner Gegend berichtete, daß Jünglinge eine Strecke Weges mit uns gingen und in den Bund aufgenommen zu werden begehrten. Diesen wurde Rat erteilt und die ersten Gebräuche und Übungen des Noviziates mitgeteilt. Es geschahen die ersten Wunder, teils vor unsern sehenden Augen, teils waren Berichte und Legenden von ihnen plötzlich da. Eines Tages, ich war noch ganz Neuling, sprach urplötzlich jedermann davon, daß im Zelt unsrer Führer der Riese Agramant zu Gaste sei und die Führer zu überreden suche, den Weg über Afrika zu nehmen, um dort einige Bundesbrüder aus maurischer Gefangenschaft zu befreien. Ein andres Mal wurde das Hutzelmännlein gesehen, der Pechschwitzer, der Tröster, und man vermutete, unsre Wanderung werde sich gegen den Blautopf richten. Die erste wunderhafte Erscheinung aber, die ich mit eigenen Augen sah, war diese: Wir hatten bei einer halbverfallenen Kapelle im Oberamt Spaichendorf Andacht und Rast gehalten, an die einzige unbeschädigte Mauer der Kapelle war ein riesengroßer heiliger Christoffer gemalt, auf seiner Schulter saß klein und vor Alter halbvergangen das Erlöserkind. Die Führer, wie sie es zuweilen taten, schlugen nicht einfach den Weg ein, der uns weiterführen sollte, sondern forderten uns alle auf, unsre Meinung darüber zu sagen, denn die Kapelle lag an einem dreifachen Kreuzweg, und wir hatten die Wahl. Nur wenige von uns äußerten einen Wunsch oder Rat, einer aber deutete nach links hinüber und forderte uns eindringlich auf, diesen Weg zu wählen. Wir schwiegen nun und warteten auf den Entscheid der Führer, da hob der heilige Christoffer an der Wand seinen Arm mit dem langen groben Stabe und deutete dorthin, nach links, wohin unser Bruder strebte.
Wir sahen es alle, schweigend, und schweigend wendeten die FГјhrer sich nach links und gingen diesen Weg, und wir folgten mit der innigsten Freude.
Wir waren noch nicht lange in Schwaben unterwegs, da machte sich eine Macht bemerkbar, an welche wir nicht gedacht hatten und deren Einfluß wir längere Zeit stark zu spüren bekamen, ohne doch zu wissen, ob diese Macht eine freundliche oder feindliche bedeute. Es war die Macht der Kronenwächter, welche in jenem Lande seit alters das Andenken und Erbe der Hohenstaufer bewahren. Ich weiß nicht, ob unsre Führer mehr darüber wußten und Weisungen hatten. Ich weiß nur, daß uns von jener Seite mehrmals Ermunterungen oder Warnungen zugekommen sind, so auf jenem Hügel am Wege nach Bopfingen, wo ein eisgrauer Geharnischter uns entgegentrat, bei geschlossenen Augen den greisen Kopf schüttelte und alsbald ohne Spur wieder verschwunden war.
Unsre Führer nahmen die Warnung an, wir kehrten auf der Stelle um und haben Bopfingen nicht zu sehen bekommen. Dagegen geschah es in der Nähe von Urach, daß ein Abgesandter der Kronenwächter, wie aus dem Boden gewachsen, mitten im Führerzelt erschien und die Führer mit Versprechungen und Drohungen bestimmen wollte, unsern Zug in den Dienst der Staufer zu stellen und namentlich die Eroberung Siziliens vorzubereiten.
Er soll, als die Führer sich dieser Gefolgschaft entschieden weigerten, über den Bund und über unsre Heerfahrt einen furchtbaren Fluch gesprochen haben. Doch berichte ich da nur, was eben unter uns darüber geflüstert worden ist; die Führer selbst haben kein Wort darüber geäußert.
Immerhin scheint es möglich, daß unsre schwankenden Beziehungen zu den Kronenwächtern es waren, welche damals unsren Bund eine Zeitlang in den unverdienten Ruf brachten, ein Geheimbund zur Wiederaufrichtung der Monarchie zu sein.
Einmal habe ich es auch miterleben mГјssen, daГџ einer meiner Kameraden reuig wurde, sein GelГјbde mit FГјГџen trat und in den Unglauben zurГјckfiel.
Es war ein junger Mensch, den ich recht gern gemocht hatte. Der persönliche Grund, warum er mit nach dem Morgenlande zog, war sein Wunsch, den Sarg des Propheten Mohammed zu sehen, von welchem er hatte sagen hören, daß er durch Zauber frei in der Luft schwebe. In einem jener schwäbischen oder alemannischen Städtchen, wo wir uns einige Tage aufhielten, weil eine Opposition von Saturn und Mond unsern Weitermarsch hemmte, traf dieser Unglückliche, der schon seit einer Weile traurig und unfrei aussah, einen seiner ehemaligen Lehrer an, dem er von seinen Schuljahren her anhänglich geblieben war; und diesem Lehrer gelang es, den Jüngling unsere Sache wieder in jenem Lichte sehen zu lassen, in welchem sie den Unglä ubigen erscheint. Der arme Mensch kam von einem Besuche bei diesem Lehrer zurück zu unsrem Lager, in schrecklicher Erregung, mit verzerrtem Gesicht, er schlug Lärm vor dem Führerzelt, und als der Sprecher heraustrat, schrie er diesen zornig an: er habe es satt, diesen Narrenzug mitzumachen, der uns niemals nach dem Orient bringen werde, er habe es satt, wegen dummer astrologischer Bedenken tagelang die Reise zu unterbrechen, er habe den Müßiggang, die kindischen Umzüge, die Blumenfeste, die Wichtigtuerei mit Magie, das Durcheinanderwerfen von Leben und Dichtung — all das habe er übersatt, er werfe den Führern seinen Ring vor die Füße und nehme Abschied, um mit der bewährten Eisenbahn in seine Heimat und an seine nützliche Arbeit zurückzukehren. Es war ein häßlicher und kläglicher Anblick, uns zog sich das Herz zusammen vor Scham und zugleich vor Mitleid mit dem Verblendeten. Der Sprecher hörte ihn freundlich an und bückte sich lächelnd nach dem weggeworfenen Ring und sagte mit einer Stimme, deren heitere Ruhe den Stürmer beschämen mußte: „Du hast Abschied genommen von uns und wirst also zur Eisenbahn, zur Vernunft und zur nützlichen Arbeit zurückkehren. Du hast Abschied genommen vom Bund, Abschied vom Zuge nach Osten, Abschied von der Magie, von den Blumenfesten, von der Poesie. Du bist frei, du bist von deinem Gelübde entbunden.“
„Auch von der Schweigepflicht?“ rief heftig der Abtrünnige.
„Auch von der Schweigepflicht“, gab der Sprecher Antwort. „Erinnere dich: du hast geschworen, über das Geheimnis des Bundes vor den Ungläubigen zu schweigen. Da du, wie wir sehen, das Geheimnis vergessen hast, wirst du es niemand mitteilen können.“
„Vergessen hätte ich etwas? Ich habe nichts vergessen! “ rief der Jüngling, war aber unsicher geworden, und als der Sprecher ihm den Rücken kehrte und sich ins Zelt zurückzog, lief er plötzlich rasch davon.
Er tat uns leid, doch waren jene Tage so gedrängt voll von Erlebnissen, daß ich ihn merkwürdig schnell vergaß. Nun aber geschah es eine Weile später, als wohl schon keiner von uns mehr an ihn dachte, daß wir in mehreren Dörfern und Städten, durch die wir zogen, die Einwohner von ebendiesem Jüngling erzählen hörten. Es sei ein junger Mensch dagewesen (und sie beschrieben ihn genau und nannten seinen Namen), der sei überall auf der Suche nach uns. Erst habe er erzählt, er gehöre zu uns und sei auf dem Marsch zurückgeblieben und verirrt, dann aber habe er zu weinen begonnen und habe berichtet, er sei uns untreu geworden und entlaufen, jetzt aber sehe er, daß er außerhalb des Bundes nicht mehr leben könne, er wolle und müsse uns rinden, um den Führern zu Füßen zu fallen und ihre Verzeihung zu erflehen. Da und dort und immer wie — der wurde uns diese Geschichte erzählt; wo wir hinkamen, da war der Arme eben gewesen. Wir fragten den Sprecher, was er davon halte und was daraus werden solle. „Ich glaube nicht, daß er uns finden wird“, sagte der Sprecher kurz. Und er fand uns nicht, wir sahen ihn nicht wieder.
Einst, als einer der Führer mich in ein vertrauliches Gespräch gezogen hatte, faßte ich Mut und fragte ihn, wie das nun mit diesem abtrünnigen Bruder sei. Er sei doch reuig und sei auf der Suche nach uns, sagte ich, man müsse ihm doch helfen, seinen Fehler wieder gutzumachen, gewiß werde er künftig der treueste Bundesbruder sein. Der Führer meinte: „Es wird uns eine Freude sein, wenn er zurückfindet. Erleichtern können wir es ihm nicht. Er hat es sich schwer gemacht, den Glauben wiederzufinden, er wird, so fürchte ich, uns nicht sehen und erkennen, auch wenn wir dicht an ihm vorüberziehen. Er ist blind geworden.
Die Reue allein hilft nichts, man kann die Gnade nicht durch Reue erkaufen, man kann sie überhaupt nicht erkaufen. Es ist schon vielen ähnlich gegangen, große und berühmte Männer sind Schicksalsbrüder dieses Jünglings gewesen. Einmal in der Jungend hat das Licht ihnen geleuchtet, einmal wurden sie sehend und folgten dem Stern, aber es kam die Vernunft und der Spott der Welt, es kam Kleinmut, es kamen scheinbare Mißerfolge, es kam Müdigkeit und Enttäuschung, und so haben sie sich wieder verloren, sind wieder blind geworden. Manche haben zeitlebens immer und immer wieder nach uns gesucht, uns aber nicht mehr finden können, und haben dann in der Welt gelehrt, unser Bund sei nur eine hübsche Sage, durch welche man sich nicht dürfe verführen lassen. Andre sind heftige Feinde geworden und haben dem Bund jede Schmähung und jeden Schaden angetan, der ihnen möglich war.“